Mit der Erfüllung aller regulatorischer Parameter und dem Eintrag in das zentrale DiGA-Verzeichnis sind alle Hürden genommen, und ein erfolgreicher Markteintritt garantiert? Leider nicht ganz.

Der Eintrag in das zentrale DiGA-Verzeichnis selbst führt entgegen manchem Wunschdenken nicht dazu, dass Ärztinnen und Ärzte Ihre DiGA auch verschreiben. Daher ist die Wahl der richtigen Marketing- und Vertriebsinstrumente von entscheidender Bedeutung, um das volle Marktpotenzial der jeweiligen Nische auszuschöpfen. Die Möglichkeiten sind vielfältig, das Marktumfeld komplex. Dieser Artikel soll Ihnen einen Überblick verschaffen, und – soweit es das gebotene Maß an Generalisierung zulässt – hilfreiche Einordnungen auf den Weg geben.

Überblick

1. Patient oder Arzt – zwei mögliche Adressaten, die unterschiedlich erreicht werden

Die erste Grundsatzfrage einer jeden Marketingstrategie ist die nach dem Adressaten. Im Falle einer DiGA kommen zwei Gruppen infrage:

  • Der Patient oder die Patientin, der/die selbst nach Behandlungsmöglichkeiten im Allgemeinen oder einer auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen digitalen Anwendung im Speziellen sucht, und diese bei der Krankenkasse selbst beantragen kann, oder
  • Der Arzt oder die Ärztin, der/die die DiGA als sinnvolle Ergänzung einer Therapie erachtet, und sie dem Patienten daher verschreibt.

Grafik zu den möglichen DiGA-Vetriebswegen

2. Verschiedene Kanäle stehen für verschiedene Zielgruppen zur Verfügung

Der Arzt ist derzeit laut Ernst and Young (EY) mit 90% der Fälle der häufigere Verschreibungsweg, und in einigen Fällen auch in Form einer Ersteinschätzung verpflichtend vorgeschaltet. Das „Kräfteverhältnis“ zwischen beiden Zielgruppen für DiGA-Marketing und -Vertrieb erscheint zum aktuellen Zeitpunkt  eindeutig: Für die meisten DiGA-Anbieter wird sich vor allem der Vertriebs/Marketing-Fokus auf den Arzt als Verschreiber der DiGA lohnen.

Dennoch lohnt sich der Blick auf beide Zielgruppen und ihre Erreichbarkeit. Dieser holistische Blick soll Gegenstand des folgenden Abschnittes sein.

Marketing für den Patient als Zielgruppe

Eine DiGA ist in aller Regel ein Nischenprodukt. Diese klare Abgrenzbarkeit der Zielgruppe(n) kann man sich als DiGA-Anbieter insbesondere durch digitale Werbung effektiv zunutze machen.

Eine Übersicht über denkbare Marketingkanäle, die die Patienten direkt erreichen:

  • Suchmaschinenwerbung- und Optimierung – Durch die Optimierung der eigenen Internetpräsenzen für die Sichtbarkeit in Suchmaschinen (SEO), besonders aber durch das Schalten bezahlter Anzeigen, die den Usern großer Suchmaschinen beim Suchen bestimmter Schlüsselbegriffe (=Keywords) ausgespielt werden, kann eine äußerst granular definierte Zielgruppe sehr zielgerichtet erreicht werden. Die erzielte Reichweite hängt in erster Linie vom eingesetzten Budget ab, und kann im Voraus relativ zuverlässig kalkuliert werden. Eher unkalkulierbar insbesondere bei neuen Produkten ist hingegen die Conversion Rate, also die (relative) Zahl der aus der Reichweite heraus tatsachlich getätigten Kaufhandlungen.
    Im Falle von DiGA ist denkbar, mit dieser Methodik besonders solche Patienten zu erreichen, die sich aktiv über ihre Beschwerden, Diagnosen und denkbare Behandlungsoptionen informieren – dabei aber nicht zwangsläufig an eine DiGA denken. Als Keywords können hier beispielsweise Beschwerden und Diagnosen gesetzt werden.
  • Social-Media-Marketing – Die sozialen Medien spielen als Informations- und Werbeplattform inzwischen eine entscheidende Rolle. Entsprechend sinnvoll könnte es sein, mit der eigenen DiGA auch hier Präsenz zu zeigen. Im Allgemeinen sind die Erfolgsfaktoren ein authentischer Auftritt, regelmäßiger Content und die Wahl der richtigen Kanäle. Die gewählten Plattformen müssen ebenso zum Produkt und der Zielgruppe passen wie die Art des Auftritts, die Bildsprache, das Wording und der Content. Eine Zielgruppe 50+ wird anders angesprochen als die Generation Z. Der Contentmix für die Bewerbung einer DiGA kann denkbarerweise aus abwechselnden Produktinformationen und Testimonials bzw. Erfahrungen von Nutzern bestehen.
    Auch zwei Spezialitäten von Social Media sind als Teil des Marketingmix‘ theoretisch denkbar: Die Zusammenarbeit mit Influencern (wenn diese als Teil der Zielgruppe glaubwürdig die DiGA bewerben können) und das Schalten von Werbekampagnen. (An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bei der Erstellung von Werbematerialien, Texten etc., die sich hier an Patienten direkt richten, besondere Sorgfalt geboten ist. Da eine DiGA immer auch ein Medizinprodukt ist, gilt hier das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Beispielsweise darf keinesfalls suggeriert werden, dass der Einsatz der DiGA mit Sicherheit erfolgreich sein wird. Allzu reißerische Formulierungen sind also auch auf Social Media tabu, sonst drohen empfindliche Strafen.
  • Display-Advertising – Hier werden auf i.d.R. gut frequentierten Webseiten (z.B. Nachrichtenportalen) frei gestaltbare Werbeanzeigen zwischen den eigentlichen Inhalten angezeigt. Auch hier lässt sich bei den meisten Anbietern (hier ist die Auswahl größer als bei den Suchmaschinen oder sozialen Medien) gut filtern, welche Personen mit welchen Interessen und welchen demografischen Merkmalen die Anzeige sehen sollen. Die Kosten hängen auch hier von der erzielten Reichweite ab – der Streuverlust ist hier jedoch relativ hoch. Im speziellen Fall einer DiGA kommt hinzu, dass diese hier mit zahlreichen anderen beworbenen Produkten um ein begrenztes Maß an Aufmerksamkeit konkurriert.
  • Klassische Massenmedien – Natürlich besteht auch für digitale Produkte die Möglichkeit, diese in klassischen, analogen Kanälen (TV, Radio, Print…) zu bewerben. Verschiedene Punkte sprechen jedoch eher gegen diesen Weg – im Gegensatz zu allen digitalen Kanälen besteht außer der Auswahl des Mediums selbst keinerlei Möglichkeit, das Publikum zielgerichtet zu filtern, ebenso fehlen Instrumente zur Erfolgsmessung und Ergebnisanalyse. Die Investitionen in die Produktion der Medien selbst (Radiospots, TV-Clips…) sind sehr hoch, gleiches gilt für deren Ausspielung. Dem gegenüber steht ein hoher Anteil „toter“ Reichweite.
  • (Werbe-)Partnerschaft mit Krankenkassen – Theoretisch ist die Kooperation mit Krankenkassen auch ein denkbarer Weg, Patienten direkt zu erreichen. Schließlich stellen diese die Schnittstelle zwischen Patienten und dem Gesundheitssystem dar, und verfügen über ein weit verzweigtes Kommunikationsnetz zu den Versicherten. Fraglich ist allerdings, wie diese von einer Kooperation überzeugt werden sollen: Werbewirkung können sich zumindest die gesetzlichen Krankenkassen nicht (mehr) erhoffen, da sie durch den Gesetzgeber sowieso zur Erstattung der DiGA verpflichtet sind.

Vertrieb & Marketing für den Arzt als Zielgruppe

Die mit 90% der Verschreibungen deutlich wichtigere Zielgruppe stellt die Ärzteschaft dar. Diese kann besonders auf Wegen erreicht werden, die sich im Bereich des DiGA-Marketings/-Vertriebs von solchen des klassischen Pharmavertriebes wenig unterscheiden.

  • Direktvertrieb: Klassischer Außendienst – Für Ärzte ist es Gewohnheit, regelmäßig von Außendienstlern der Pharmabranche aufgesucht zu werden. Durch den persönlichen Kontakt zu einem festen und physisch greifbaren Ansprechpartner wird Vertrauen und damit eine Bindung geschaffen. Auch ein DiGA-Hersteller kann prinzipiell diesen Weg gehen, um eine Anwendung in der Ärzteschaft zu etablieren. Der Aufbau eines kompletten Außendienstnetzes ist fraglos mit nicht unerheblichen Kosten verbunden. Dass er sich jedoch durchaus amortiseren kann, hat Marcus Bergler, Experte für DiGA-Vertrieb, in seinem Artikel plausibel errechnet. Dieser Vertriebskanal kommt der Ärzteschaft mutmaßlich am weitesten entgegen, da sie ihn bereits aus der Pharmabranche kennt.
  • Direktvertrieb: Zusammen mit Partnern – In diesem Kontext ist zudem ein interessanter Trend zu beobachten: DiGA-Start-Ups schließen sich in unterschiedlichen Formen mit Pharmaunternehmen zusammen, Beispiele sind hier die Kooperationen von Kalmeda mit Pohl-Boskamp oder HelloBetter und Ratiopharm. Auch Pfizer und Roche zeigen großes Interesse am DiGA-Markt. Die bestehende, etablierte und weit verästelte Vertriebsstruktur der Pharmaunternehmen kann für den Vertrieb der DiGA mitgenutzt werden, im Gegenzug können die Pharmaunternehmen vom technologischen Know-How der Start-Ups profitieren. Eine Alternative zu diesem Modell – für solche DiGA-Hersteller, die von der Pharmaindustrie unabhängig agieren wollen – stellt eine gegenseitige Kooperation dar. DiGA-Hersteller bauen ein gemeinsames Vertriebsnetz auf, teilen sich somit Kosten und Risiken, und stellen bestmögliche Auslastung sicher. Übrigens können Sie hilfreiche Tipps für die Preisverhandlung mit dem GKV-Spitzenverband in diesem Blogartikel finden.
  • Klassische Breitenwerbung – Während der oben beschriebene „klassische“ Direktvertrieb wohl das zentrale Instrument zum unmittelbaren Vermarkten des Produktes ist, kann dieses durch flankierende Maßnahmen mit dem Zweck der Bekanntheitssteigerung und des allgemeinen Imagebuildings unterstützt werden. Klassische Mittel sind hier z.B. Werbeanzeigen oder optimalerweise das Erreichen „echter“ Berichterstattung in Fachmedien ebenso wie das Versenden speziell für die Ärzteschaft konzipierter Broschüren an Praxen mit relevantem Schwerpunkt. Ähnlich wie in anderen Branchen auch finden für Ärzte zudem regelmäßig Events statt. Je nach Format kann es sinnvoll sein, durch z.B. einen Stand und/oder einen Fachvortrag Präsenz zu zeigen.
  • Sponsorings von Fortbildungen – Eine subtilere Maßnahme zur Bekanntheitssteigerung kann die Übernahme eines Sponsorings sein: Jeder Facharzt ist verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren 250 sogenannter CME-Punkte zu erwerben. Die entsprechenden Fortbildungen werden häufig kostenfrei angeboten, und finanzieren sich u.A. über Sponsorings, z.B. von Arzneimittelherstellern. Auch wenn ein Sponsoring keinerlei Einfluss auf die Inhalte der Fortbildung haben darf, erhält der Sponsor doch eine gewisse Präsenz in der Veranstaltung, sei es durch Erwähnung und Positionierung des Namens oder Logos oder durch die Auslage von Werbeartikeln. Es existieren durchaus bereits CME-Fortbildungen speziell zum Thema DiGA. Noch geschickter kann sein, solche Fortbildungen zu sponsern, die sich mit dem durch die DiGA adressierten Krankheitsbild befassen. Mit einer solchen Maßnahme besteht Zugang zu einem Publikum, das durch die DiGA fachlich tangiert wird, und zugleich ggf. durch das Sponsoring erstmals von einer solchen hört.

Hinweis: Die Liste der genannten Distributionskanäle ist sicher nicht vollständig und sollen Ihnen vor allem einen initialen Überblick über einige möglich Maßnahmen geben. Sie sollten grundsätzlich auch andere Wege in Betracht ziehen, die hier nicht explizit genannt wurden.

3. Rezeption – viele Wege führen (nicht) zum Ziel

Dass das Thema DiGA für den angesprochenen Arzt Neuland ist, ist nicht unwahrscheinlich. Laut einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts aus dem Jahr 2021 „schätzen 75% der teilnehmenden Ärzte ihren Informationsstand zu DiGA als schlecht oder sehr schlecht ein“. Entsprechend hoch ist der Informationsbedarf – und das Interesse: In derselben Umfrage erklären 37% der Ärzte eine „hohe oder sehr hohe Bereitschaft“, DiGA zu verordnen. Bisher getan haben dies laut eigenen Angaben jedoch erst 2%. Dennoch machen – wie erwähnt – Verschreibungen durch Ärzte 90% des Gesamtmarktes aus.

Grafik: Statistik von DiGA-Marketing

Geringer Informationsgrad, hohes Interesse, absolute Marktmacht: Die Ärzteschaft als Zielgruppe ist somit die „Low Hanging Fruit“, die es als ersten Schritt nach einem Markteintritt zu ernten gilt. Naheliegendster und erfolgversprechendster Schritt ist, hierfür den direkten Kontakt zu suchen. Kann oder will man das als einzelner DiGA-Hersteller nicht allein bewältigen, bietet sich an, mit Pharmaunternehmen oder anderen DiGA-Herstellern zu kooperieren. Flankiert werden kann das durch diverse Maßnahmen zur Steigerung des Bekanntheitsgrades – Werbeaktionen, Präsenzen auf Kongressen und Veranstaltungen oder Sponsoring entsprechender Fortbildungen.

Mit dem steigenden Bewusstsein für Gesundheit in der Gesellschaft einserseits und dem wachsenden Bekanntheitsgrad digitaler Technologien andererseits ist denkbar, dass sich das schnell ändert – gegebenenfalls induziert durch Marketing- und Vertriebsaktivität seitens der DiGA-Hersteller selbst. Zur Vermarktung einer DiGA an den Patienten direkt steht nahezu die gesamte Klaviatur der Produktwerbung zur Verfügung, mit Blick auf die sehr klare Abgrenzbarkeit und die vorausgesetzte Digitalaffinität der Zielgruppe(n) erscheint besonders solche in digitaler Form sinnstiftend. Das Risiko ist hier zugleich geringer: Fixkosten entstehen nicht.

4. Bedürfnisse von Patienten und Ärzten verstehen

Ein Schlüssel für die erfolgreiche Definition der eigenen Marketingstrategie ist neben der Wahl der Kanäle auch die der Inhalte. Für beides von Bedeutung ist das Verstehen der Denkweise und Bedürfnisse der Zielgruppen. “Der Erfolg des digitalen Wandels im Gesundheitswesen steht und fällt damit, wie weit Patienten, Versicherte und Leistungserbringer digitale Lösungen akzeptieren”, stellt die Bertelsmann-Stiftung fest.

Der Markt muss nach der entsprechenden DiGA „verlangen“. Die Zielgruppe „Patienten“ muss eine sein, die eine gesundheitliche Herausforderung mit hohem individuellen Leidensdruck und zugleich begrenzten Therapiemöglichkeiten mit sich bringt. An diesen Punkten kann und muss das DiGA-Marketing den Patienten „abholen“, und ihm verdeutlichen, dass mit der DiGA eine unkonventionelle Methode zur Verfügung steht, die zudem bestenfalls äußerst nutzerfreundlich in den Alltag zu integrieren ist. Wie Sie Ihre Zielgruppe zielführend definieren und einen positiven Versorgungseffekt nachweisen, erfahren sie in unserem Leitfaden.

Für die Zielgruppe „Ärzteschaft“ ist von Bedeutung, dass die DiGA evidentermaßen „funktioniert“. Ärzte hören z.B. auch auf das Feedback, das Patienten diesen Nach Nutzung übermitteln. Wenn der Patient nicht von der DiGA überzeugt ist oder diese nicht nutzt, sinkt die Wahrscheinlickeit für Folgeverordungen drastisch.

Fazit: Verstehen und erreichen der Zielgruppe ist der Schlüssel zum Erfolg

Die Vielfalt an denkbaren Marketing- und Vertriebswegen ist enorm. Das kann besonders zum Start erschweren, sich für einen Ansatzpunkt, eine Strategie (und bestenfalls die „richtige“) zu entscheiden.

Klar ist jedoch auch: Eine universelle Handlungsempfehlung kann es nicht geben. Jede DiGA ist ein einzigartiges Produkt in einem jeweils einzigartigen und komplexen Marktumfeld. Für einen erfolgreichen Marktstart ist essenziell, dieses Umfeld genau zu analysieren, und darauf aufbauend die Marketing- und Vertriebsmethodik zu wählen, die am besten zu Produkt und Zielgruppe passt. Sie stehen momentan noch am Anfang? Welche Faktoren Sie bei der Planung und Umsetzung Ihrer DiGA in 2023 beachten sollten, erklärt unser Blogartikel zur DiGA-Zulassung.

Mit diesem Artikel war unser Ziel, Ihnen einen breit gestreuten Überblick über denkbare Instrumente zu verschaffen, und diese – der Natur eines Blogartikels entsprechend – verallgemeinert einzuordnen.

Über uns: QuickBird Medical ist auf die Umsetzung von DiGA auf Auftragsbasis spezialisiert. Falls Sie eine DiGA planen, sprechen Sie uns gerne an:  [email protected]. Wir freuen uns, mit Ihnen gemeinsam die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben.

(Hinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in diesem Text der Begriff „Arzt“ als Synonym für alle Mediziner*Innen und Therapeut*Innen verwendet, die DiGA verschreiben dürfen.)