Stand November 2023

Ende August 2023 wurde der Entwurf zum neuen Digital-Gesetz des Bundesministeriums für Gesundheit verabschiedet. Dieser berührt vielfältige Themen einer modernen Gesundheitsversorgung wie die elektronische Patientenakte ePA oder Regelungen um die Telematik-Infrastruktur.

In Bezug auf DiGA klärt das Gesundheitsministerium wichtige Punkte, wie diese digitalen Lösungen in die Gesundheitsversorgung integriert werden. Für die Hersteller bedeuten diese Veränderungen sowohl neue Möglichkeiten als auch zusätzliche Anforderungen für die Zulassung von DiGA, die es zu beachten gilt. Diese möchten wir Ihnen im Folgenden vorstellen. 

Überblick

1. Das Digital-Gesetz: DigiG- Hintergründe und Ziele

Das Digital-Gesetz (DigiG) ist ein geplantes Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Der Referentenentwurf wurde im August 2023 vom Kabinett des Bundes verabschiedet, um die zahlreichen Potenziale der digitalen Transformation in der Gesundheits- und Pflegebranche zu nutzen. Das DigiG hat das Ziel, das Gesundheitswesen effizienter, patientenzentrierter, sicherer und qualitativ hochwertiger zu gestalten und den Fortschritt in der Versorgung voranzutreiben. Es adressiert die Herausforderungen, die mit der Einführung digitaler Lösungen im Gesundheitswesen einhergehen.

Unter anderem zielt das Gesetz darauf ab, die elektronische Patientenakte flächendeckend durch eine Opt-out-Lösung zu integrieren und das E-Rezept verbindlich weiterzuentwickeln und einzuführen, um die Patientensicherheit und die Versorgungsqualität zu verbessern.

Den Entwurfstext des BMG können Sie hier einsehen: Kabinettvorlage Digitalgesetz (DigiG)

2. Welche Neuerungen ergeben sich aus dem BMG-Gesetzesentwurf für DiGA Hersteller?

2.1. Aufnahme von DiGA der Risikoklasse IIb

DiGA der Risikoklasse I und IIa können bereits seit der Verabschiedung des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) im Dezember 2019 im Rahmen der Regelversorgung verordnet werden.

Neu ist, dass laut Digital-Gesetz auch DiGA der Risikoklasse IIb zugelassen werden können. Hersteller können laut Gesetzesentwurf allerdings keine vorläufige Zulassung beantragen, sondern müssen den positiven Versorgungsnachweis direkt bei Antragstellung auf Aufnahme in das DiGA Verzeichnis mitreichen. Dies bedeutet, dass eine DiGA nicht schon während der Prüfung zum positiven Versorgungseffekt verordnet werden kann, wie es andernfalls im Fast-Track-Verfahren vorgesehen wäre (vorläufige Listung). Für Hersteller ergeben sich somit längere Zeiträume, die bis zur Umsatzgenerierung überbrückt werden müssen.

2.2. Formulierung zum Versorgungsanspruch Schwangerer

Im Entwurf zum DigiG ist die Versorgung von Schwangeren mit DiGA nun ausdrücklich aufgeführt. 

Notwendig war dies, da Schwangerschaft als ICD-10 Code an sich keine Krankheit darstellt. Trotzdem ist im SGB V die medizinische Versorgung rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett geregelt. Durch die explizite Aufzählung von digitalen Gesundheitsanwendungen im Wortlaut des SGB V soll nun klargestellt werden, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Versorgung mit DiGA bei gesundheitlichen Problemen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft abdeckt. 

Als neuer Wortlaut im SGB V ist nun vorgesehen:

In § 24c Satz 1 Nummer 2 werden die Wörter „und Hilfsmitteln“ durch die Wörter „, Hilfsmitteln und digitalen Gesundheitsanwendungen“ ersetzt.

§ 24e wird wie folgt geändert: In Satz 1 werden die Wörter „und Hilfsmitteln“ durch die Wörter „Hilfsmitteln und digitalen Gesundheitsanwendungen“ ersetzt.

Weitere Änderungen betreffen die Paragraphen zur Zuzahlungsbefreiung bei Schwangerschaft.

Eine nähere Erläuterung zur Abgrenzung des Versorgungsanspruchs bei regulär verlaufender Schwangerschaft steht jedoch aus, so dass diese Aufnahme in das Gesetz weiterhin Interpretationsspielraum bietet. Denn eine Verschreibung von DiGA allein aufgrund einer Schwangerschaft ist weiterhin nicht möglich.

2.3. Preisgestaltung anhand von Erfolgsmessungen

Zu beachten ist die obligatorische Einführung einer anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung für alle im Verzeichnis gelisteten DiGA. Die Ergebnisse dieser Erfolgsmessung müssen kontinuierlich an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet und im Verzeichnis veröffentlicht werden. 

Das Bundesgesundheitsministerium sieht im DigiG- Entwurf einen Anteil von 20 % “erfolgsabhängiger Preisbestandteile” vor. Denkbare Erfolgskriterien wären laut BMG zum Beispiel, wie viele Stunden die Patienten eine DiGA durchschnittlich pro Tag nutzen und ob die Anwendung abgebrochen wird.

Das stellt eine neue Herausforderung für DiGA-Hersteller dar, wenn es darum geht, ihre Produkte gewinnbringend auf dem Markt zu positionieren. Einerseits muss ein entsprechendes Tracking umgesetzt werden, außerdem wird dadurch das Thema Adhärenz noch bedeutsamer.

2.4. Interoperabilität

Interoperable Informationssysteme sind entscheidend für eine hochwertige Gesundheitsversorgung, aber aufgrund der Fragmentierung im deutschen Gesundheitssystem und der Vielfalt der Informationssysteme besteht die Gefahr von Qualitäts- und Quantitätseinbußen beim Austausch behandlungsrelevanter Daten. Um die Interoperabilitätsziele zu erreichen, wird im Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Verbindlichkeit von Standards und Profilen zu erhöhen, was zu einer verbesserten Datenverfügbarkeit, höherer Behandlungsqualität und stärkerem Schutz der Gesundheit und informationellen Selbstbestimmung der Versicherten führen soll. 

Für DiGA gibt es allerdings parallel dazu eine Regelung nach § 347a SGB V, die ab Mitte 2024 gilt. Damit soll eine größere Offenheit zwischen Hilfsmitteln/Implantaten und DiGA geschaffen werden, wodurch DiGA in Zukunft Zugang zu mehr Datenquellen erhalten sollen. Gerne können Sie sich dazu in unserem Blogartikel informieren.

2.5. Telemedizinisches Monitoring

Im Entwurf des Digital-Gesetzes ist vorgesehen, dass Telemedizin einen festen Platz in der Gesundheitsversorgung einnimmt. Insbesondere sollen Videosprechstunden noch weitreichender genutzt und leichter in Anspruch genommen werden können. In einem ersten Schritt wird die bisherige Begrenzung für Videosprechstunden aufgehoben. 

Für DiGA Hersteller könnte es interessant sein, dass umfassende Monitoringkonzepte, auch unter Einbeziehung von DiGA, erstattungsfähig werden sollen. Der TI-Messenger soll außerdem in DiGA eingebunden werden können.

Da es sich hier vor allem um den weiteren Ausbau bestehender Strukturen handelt, wird die Zukunft zeigen, ob sich für DiGA-Hersteller Anknüpfungspunkte ergeben.

Quelle: Artikel des Handelsblatts zum Entwurf des DigiG

2.6. Innovationsfonds

Der Innovationsfonds soll Brücken zwischen den Versorgungsbereichen im Gesundheitswesen schaffen, die bisher nur mit Schwierigkeiten interagieren können. Finanziert wird er aus den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung. Ursprünglich war dieser Fonds bis 2024 befristet.

Der Innovationsfonds erfährt eine Verstetigung und Erweiterung, um die Entwicklung innovativer Versorgungsformen und Versorgungsforschung zu fördern. 

Allerdings eröffnen sich für DiGA-Hersteller aufgrund der geltenden Antragsregeln keine neuen Fördermöglichkeiten. Produktbezogene Studien können nicht gefördert werden, und ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an den Studienergebnissen stellt ein Ausschlusskriterium dar.

Hier geht es zur Website des Innovationsfonds.

2.7. Strukturierte Behandlungsprogramme bei Diabetes

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) neue strukturierte Behandlungsprogramme für Versicherte mit Diabetes mellitus Typ I und Typ II einführen soll, die auf digitalisierten Versorgungsprozessen basieren. Durch die Integration bisher getrennter Datenquellen bei Patienten und Leistungserbringern ermöglicht diese Maßnahme einen Versorgungsprozess, der gezielt digitale Technologien einsetzt und so eine effektivere Therapie gestattet. 

Ob sich für DiGA-Hersteller Anknüpfungspunkte ergeben, wird sich eventuell nach der Konzipierung dieser Behandlungsprogramme zeigen.

3. Zeitplan bis zum Beschluss des DigiG im Bundestag

Der DigiG-Referentenentwurf des BMG unter Karl Lauterbach muss bis zur endgültigen Verabschiedung im Bundestag noch verschiedene Hürden nehmen. Die unterschiedlichen Verhandlungsgremien inklusive des ungefähren Zeitplans sind in der folgenden Grafik dargestellt. Von diesem hängt ab, wann der Entwurf vom Bund tatsächlich beschlossen wird. Sie gibt den Stand zum Zeitpunkt November 2023 wieder.

 

4. Die Stellungnahmen der Interessengruppen

Angesichts der beabsichtigten Einführung des DigiG, welches erhebliche Auswirkungen auf die Einsatzmöglichkeiten, aber auch den Finanzierungsbedarf von DiGA haben wird, haben sowohl die Krankenversicherungen als auch die Herstellerseite umfassende Stellungnahmen zu diesem Gesetzesentwurf abgegeben. Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte dieser Stellungnahmen näher erläutert:

4.1. Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) und Bundesverband Medizintechnologie

Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) hat 169 Mitglieder. Darunter finden sich auch viele DiGA-Hersteller. Begrüßt wird die Möglichkeit zukünftig auch DiGA der Risikoklasse IIb auf den Markt zu bringen. Dass diese DiGA laut Entwurf des Kabinetts vom Fast-Track-Verfahren ausgeschlossen werden sollen, kann der SVDGV nicht nachvollziehen. Zahlreiche Beispiele aus der Softwarewelt könnten belegen, dass ein Medizinprodukt einer höheren Risikoklasse nicht automatisch komplexer und gefährlicher sei. Der Bundesverband Medizintechnologie sieht durch diese neue Auflage sogar den Erfolg der DiGA in Gefahr. Die Unternehmensvertretungen fordern, dass allen DiGA-Herstellern eine Erprobungsphase zugestanden wird.

Ebenso lehnt der SVDGV den Vorschlag im DigiG ab, dass DiGA vom Patienten 14 Tage kostenlos getestet werden können. Mit anderen Worten: Entscheidet sich ein Patient innerhalb von zwei Wochen gegen eine längere Nutzung einer DiGA, verdient der Hersteller kein Geld. Die Start-up-Vertretung schlägt zudem vor, den Erprobungszeitraum des Fast-Track Verfahrens zu verlängern. Denn wenn ein Unternehmen erst am Ende der Erprobungsphase Studienergebnisse vorlegen kann, werden diese vom BfArM nicht mehr geprüft.

Der SVDGV begrüßt die Pläne, den Anspruch auf DiGA für Schwangerschaft und Mutterschaft explizit im Gesetzesentwurf aufzunehmen. Um deren Gesundheitsversorgung zu verbessern, sollte nach Ansicht des Verbandes jedoch deutlicher werden, dass Schwangere und Mütter immer Anspruch auf eine DiGA haben. 

Zusätzlich wünscht sich der SVDGV eine Aufnahme normal verlaufender Schwangerschaften über den entsprechenden ICD-10 Code. Die Start-up-Vertretung schlägt außerdem vor, künftig auch Verhütungs-Apps als DiGA zuzulassen.

Mehr dazu lesen Sie in der vollständigen Stellungnahme

4.2. Kassenärztliche Bundesvereinigung

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geht in ihrer Stellungnahme zum DigiG nur mit knappen Worten auf DiGA ein. Sie befürwortet, dass die Zulassung von DiGa der Risikoklasse IIb im Gesetzesentwurf mit dem Ausschluss der vorläufigen Zulassung ohne abgeschlossenen Evidenznachweis hergeht. Zusätzlich plädiert der KBV dafür, dass für die Verordnung von DiGA ein genereller Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen eingeführt wird, wie er auch für andere nicht genehmigungspflichtige Leistungen zur Gesundheit wie zum Beispiel häusliche Krankenpflege gilt. 

Lesen Sie die Stellungnahme zum Gesetzesentwurf hier im Volltext

4.3. GKV-Spitzenverband

Der GKV-Spitzenverband lehnt ebenfalls, wie in Karl Lauterbachs Entwurf zum DigiG vorgesehen, die vorläufige Aufnahme einer App der Risikoklasse IIb ohne Evidenznachweis in das DiGA-Verzeichnis ab. Allerdings hält die Kassenvertretung das sogenannte Fast-Track-Verfahren zur vorläufigen Zulassung vor dem positiven Versorgungsnachweis bereits heute im Ganzen für ungeeignet.

Der GKV-Spitzenverband unterstützt die Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Versicherten. Die geplante Erweiterung des Anspruchs auf solche Anwendungen betrifft Schwangere mit spezifischen Gesundheitsproblemen, jedoch nicht normale Schwangerschaftsbegleitung oder Präventionsanwendungen. Aufgrund fehlender Klarheit in den bestehenden Gesetzen fordert der GKV-Spitzenverband eine präzisere Definition der Anwendungszwecke und -voraussetzungen durch den Gesetzgeber. Dies soll sicherstellen, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gezielt auf die Bedürfnisse von Schwangeren mit Gesundheitsproblemen ausgerichtet sind.

Mehr dazu steht in der Stellungnahme des GKV-Spitzenverbands.

5. Fazit

Der Entwurf des DigiG legt den Kurs für die Zukunft der digitalen Gesundheitsversorgung fest. Insgesamt wird das DigiG begrüßt und als wichtiger Schritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen betrachtet. Es ergeben sich aus dem Gesetzentwurf jedoch gemischte Auswirkungen für DiGA-Hersteller. Die Möglichkeit der Zulassung von DiGA der Risikoklasse IIb ist positiv zu bewerten. Gleichzeitig stellen der Ausschluss dieser DiGA aus der vorläufigen Zulassung und die verpflichtende Erfolgsmessung Herausforderungen für die Hersteller dar. Auch die weiterhin bestehenden Unklarheiten bezüglich DiGA bei Schwangerschaft könnten sich als Hindernis erweisen. Die genauen Auswirkungen werden sich erst im Verlauf der Umsetzung des Gesetzentwurfs zeigen.