In der Medizin kommt eine Vielzahl elektronischer Geräte zum Einsatz, inzwischen auch vermehrt Medical Apps. Ein großes Problem dabei ist jedoch bis heute, dass viele dieser Geräte nicht miteinander “reden” können: Das Austauschen der Daten ist oft schwierig oder nicht möglich. In diesem Bereich hinkt die Branche dem technischen Fortschritt deutlich hinterher.
Das hat allerdings weniger etwas mit Technik zu tun als viel mehr mit menschlicher Koordination. Hersteller medizinischer Geräte stimmen sich bei der Entwicklung oft nicht darüber ab, auf welche Weise diese Geräte Daten austauschen. Das passiert entweder aus mangelnder Kommunikation heraus oder um Kunden an die eigene Marke zu binden.
In der Folge hat jedes Gerät und jede Medical App eine andere Schnittstelle zum Datenaustausch und verwendet einen anderen Standard. Es ist wie beim Turmbau zu Babel: Wenn jeder eine andere Sprache spricht, kann jeder noch so schlaue Sätze sagen – niemand wird etwas davon verstehen.
Wie Sie die Interoperabilitätsanforderungen an eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) konkret umsetzen, erfahren Sie in diesem Artikel.
Ebenen der Interoperabilität
Durch die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung spielt Interoperabilität in der Medizin eine immens wichtige Rolle. Es lohnt sich daher genau zu verstehen, was mit diesem Begriff gemeint ist und welche Aspekte Sie dabei berücksichtigen müssen. Grundsätzlich bezeichnet man mit Interoperabilität
die Fähigkeit verschiedener Systeme miteinander zusammenzuarbeiten.
Man unterscheidet zwischen vier Ebenen:
- Strukturelle Interoperabilität
- Syntaktische Interoperabilität
- Semantische Interoperabilität
- Organisatorische Interoperabilität
Das klingt durch die Fachsprache komplizierter als es ist. Im Folgenden erklären wir anschaulich, was unter diesen Ebenen zu verstehen ist.
1. Strukturelle Interoperabilität
Die Grundvoraussetzung, um einen Datenaustausch zwischen medizinischen Geräten (bzw. Medical Apps) überhaupt zu ermöglichen, ist eine Datenverbindung zwischen diesen Geräten. Das kann ein einfaches Kabel sein, welches zwei Geräte miteinander verbindet. Natürlich muss jedes Kabelende auch in die Buchse des jeweiligen Geräts passen. Wenn die Anschlüsse nicht kompatibel sind, nützt das beste Kabel nichts.
Diese technische Voraussetzung, überhaupt Daten von einem Gerät zu einem anderen schicken zu können, wird als strukturelle Interoperabilität bezeichnet. Dazu zählen standardisierte Anschlüsse wie USB, aber auch Datenprotokolle, in denen festgelegt ist, wie Computer miteinander Daten austauschen, z.B. das im Internetprotokoll HTTP.
Ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag:
Wenn Sie mit einem Freund kommunizieren wollen, dann müssen Sie natürlich zunächst die technische Voraussetzung dafür schaffen, dass dieser Sie hören kann und umgekehrt. Sie können die strukturelle Interoperabilität herstellen, indem Sie sich z.B. beide in denselben Raum begeben oder indem Sie sich jeweils ein Smartphone besorgen und Ihre Nummern austauschen oder auch eine Chat App verwenden.
2. Syntaktische Interoperabilität
Wenn die strukturelle Interoperabilität gewährleistet ist, heißt das noch nicht, dass auch eine Kommunikation stattfinden kann. Es bedeutet lediglich, dass Datenströme, also Pakete aus Nullen und Einsen, zwischen den Geräten ausgetauscht werden können. Diese haben aber an sich noch keine Bedeutung und können je nach Standard unterschiedlich interpretiert werden.
Die Bitfolge 11110000 10011111 10010010 10001010
kann z.B. die für die Zahl 504.623.697 stehen oder für das Emoji 💊. Die Bitfolge 01001000 01100101 01110010 01111010
kann für das Wort Herz stehen oder auch für eine Reihe von Puls-Messwerten: 72, 101, 114, 122.
Durch syntaktische Interoperabilität muss daher bei der Entwicklung sichergestellt werden, dass einzelne Informationseinheiten richtig erkannt werden – oder mit anderen Worten: dass die kommunizierenden Geräte dieselbe Sprache sprechen. Dafür gibt es allgemeine Datenstandards, wie etwa XML und CSV, sowie spezielle medizinische Standards wie HL7.
Beispiel:
Angenommen, Ihr Freund liest Ihnen eine Geschichte vor aus einem Buch. Er spricht Koreanisch und Sie Deutsch. (Sie selbst sprechen kein Koreanisch.) Wenn Sie im selben Raum sind, hören Sie ihren Freund zwar (d.h. die strukturelle Interoperabilität ist hergestellt), Sie können aber nicht einmal heraushören, welche Laute zusammen ein Wort ergeben, weil Sie die Sprache nicht kennen.
Wenn man Sie bitten würde, einfach nur die Worte aufzuschreiben, die Sie hören und zwischen jedem Wort ein Leerzeichen zu lassen, würden Sie sehr wahrscheinlich an dieser Aufgabe scheitern. Syntaktische Interoperabilität würde hier bedeuten, dass Sie in der Lage sind, die Wörter exakt so zu Papier zu bringen, wie sie in dem Buch Ihres Freundes stehen und dass Sie darüber hinaus auch erkennen, zu welcher Wortart jedes dieser Worte zählt (z.B. Substantiv, Verb, Adjektiv usw.).
3. Semantische Interoperabilität
Wenn nun die einzelnen Informationseinheiten in einem Datensatz richtig erkannt wurden, muss man im nächsten Schritt der Entwicklung sicherstellen, dass der Empfänger unter den Informationseinheiten auch dasselbe versteht wie der Sender.
Beispiel:
Das Wort ICE bedeutet im Englischen z.B. Eis, im Deutschen dagegen versteht man darunter im Allgemeinen einen Schnellzug.
Genauso müssen medizinische Geräte dasselbe Verständnis von digitalen Informationen haben. Wenn z.B. eine Medical App die Daten 72, 101, 114, 122 von einem Messgerät empfängt, muss klar sein, ob es sich dabei um die Pulsmesswerte eines Tages oder die Körpergewichtswerte eines Jahres handelt. Deshalb wird die semantische Ebene der Interoperabilität benötigt, die ein gemeinsames Verständnis der Informationseinheiten der beteiligten Systeme sicherstellt.
Beispiel:
Haben Sie schon einmal mit einem digitalen Sprachassistenten gesprochen? Alexa, Siri oder Google Home zum Beispiel? Dann kennen Sie bestimmt den Satz, “Entschuldige, aber ich habe dich nicht verstanden.” In diesen Fällen hat der Sprachassistent zwar oft Ihre Worte verstanden, konnte ihnen aber keinen Sinn zuordnen. Die semantische Interoperabilität zwischen Ihnen und Ihrem Sprachassistenten ist also oft nicht gegeben, da die Technik bislang nur die Semantik einfacher Sätze versteht.
4. Organisatorische Interoperabilität
Die letzte Ebene ist die organisatorische Interoperabilität. Hier geht es darum, Prozesse systemübergreifend aufeinander abzustimmen. So muss zum Beispiel sichergestellt werden, dass Ärzte und medizinisches Personal über die entsprechenden Berechtigungen verfügen, um auf Patientendaten zugreifen zu können. Im Kern geht es hier also um definierte Rollen, Datensicherheit und standardisierte Arbeitsabläufe, damit mit den erhobenen Daten auch effizient gearbeitet werden kann.
Beispiel:
Wenn Ihnen Ihr Arzt eine Diagnose oder eine Rechnung per Post schickt, möchten Sie natürlich nicht, dass der Briefträger diese lesen kann. So geht es vielen anderen Menschen auch – nicht nur im medizinischen Bereich. Die Post hat daher einen Prozess etabliert, der sicherstellt, dass nur berechtigte Personen Einsicht in Ihre Post nehmen können: Der Sender steckt die Post in einen Briefumschlag und verklebt diesen. Erst der Empfänger öffnet ihn wieder, wodurch die Datensicherheit gewährleistet wird. Der Briefträger hat in diesem Prozess eine andere Rolle, welche nicht über die Berechtigung verfügt, den Briefinhalt einzusehen.
Interoperabilitätsstandards im Medizinischen Bereich
Um die größtmögliche Interoperabilität zwischen medizinischen Geräten zu erhalten, ist es natürlich wünschenswert, möglichst wenige Standards zu etablieren. Leider ist dies im medizinischen Bereich nicht der Fall. Es gibt auf den verschiedenen Ebenen viele verschiedene Standards, von denen die meisten gleich mehrere Ebenen der Interoperabilität abdecken, allerdings nicht alle. Dazu zählen zum Beispiel die Standards HL7, SNOMED CT, IEEE 11073 und DICOM. Aufgrund der großen Anzahl an Standards ist es nicht leicht, den richtigen für Ihre medizinischen Geräte oder Anwendungen zu finden. Einen Überblick über diese Standards werden wir Ihnen in unserem nächsten Artikel geben.
Fazit
Interoperabilität ist und bleibt ein wichtiger Faktor bei medizinischen Geräten und Medical Apps, ohne die keine brauchbaren Daten zwischen verschiedenen Geräten ausgetauscht werden können.
Speziell in Deutschland ändert sich im Bereich der Gesundheitswesen-Digitalisierung gerade viel durch neue Gesetze wie das DVG, DiGAV oder das Patientendaten-Schutz-Gesetz.
Die Interoperabilität wird aktuell immer mehr in den Vordergrund gerückt. Hersteller sollten diese folglich bei der Entwicklung von Anfang an mitdenken und dabei alle vier Ebenen berücksichtigen. DiGA-Hersteller erfahren hier, wie sie die Anforderungen an Ihre App erfüllen.