In Österreich gibt es seit 2020 stärker werdende Bestrebungen, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in die reguläre Gesundheitsversorgung zu integrieren. Kommt die „App auf Rezept“ also nun nach Österreich?
In diesem Artikel geben wir Ihnen einen Überblick über:
- den geplanten Zulassungsprozess in Österreich
- den aktuellen Stand (2024) der Anforderungen an DiGA in Österreich
- den Zeitplan zur Einführung eines DiGA-Zulassungsprozesses in Österreich
Inhalte dieses Artikels
- 1. Hintergrund des DiGA-Konzepts
- 2. Ausgangssituation
- 3. Zulassung als Medizinprodukt vs. Erstattung durch Krankenkassen
- 4. Der Weg zur Erstattung für DiGA in Österreich
- 5. Bisherige Erstattungsmöglichkeiten in Österreich
- 6. DiGA-Modelle in anderen Ländern
- 7. Fazit
1. Hintergrund des DiGA-Konzepts
Deutschland hat 2020 als Pionier das Konzept einer digitalen Gesundheitsanwendung („DiGA“) eingeführt. DiGA sind auch als „Apps auf Rezept“ bekannt und können vom Arzt an Patienten verschrieben werden. Für sie wurde in Deutschland ein spezieller Zulassungsprozess geschaffen: der DiGA-Fast-Track. Digitale Produkte, die diesen Zulassungsprozess erfolgreich durchlaufen haben, werden von den Krankenkassen auf Rezept erstattet.
Länder wie Frankreich und Belgien folgten mit eigenen Zulassungs- und Erstattungsprozessen, die sich am deutschen Fast-Track Verfahren orientieren.
In Zukunft könnte das Konzept einer DiGA auch nach Österreich kommen – mehr dazu in den untenstehenden Kapiteln.
2. Ausgangssituation für digitale Gesundheitsanwendungen
Ausgelöst durch Deutschlands Einführung des DiGA-Fast-Tracks, verstärkte sich 2020 auch in Österreich die Diskussion zur Einführung eines Zulassungsprozesses für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA).
Seit Juni 2023 bildet der Digital Austria Act die Basis dieser Gespräche. Er zielt darauf ab, das österreichische Gesundheitssystem für digitale Innovationen zu öffnen und einen rechtlichen Rahmen für die Integration von DiGA zu schaffen.
Unter Punkt 7.4 ist dort aufgeführt:
„Die Verschreibung qualitätsgesicherter Digitaler Gesundheitsanwendungen soll in Zusammenarbeit mit der Sozialversicherung ermöglicht werden und die telemedizinische Versorgung ergänzen.“
Wie genau dieser Zulassungsprozess aussehen soll, ist noch nicht abschließend geklärt. Aufgrund des intensiven Austauschs mit deutschen Stakeholdern scheint es möglich, dass sich Österreich an ähnlichen Standards wie Deutschland orientieren wird. So sollen Qualität und Effektivität der erstattungsfähigen DiGA sichergestellt werden.
Im Juli 2024 wurde die E-Health Strategie 2024-2030 veröffentlicht, die wesentliche Ziele festlegt, um den übergeordneten Grundsatz “Digital vor ambulant vor stationär” zur Digitalisierung des österreichischen Gesundheitswesens umzusetzen.
Ein enthaltenes Ziel ist dabei die “Schaffung eines einheitlichen Prozesses für die Bewertung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sowie digitaler Pflegeanwendungen (DiPAs) und in weiterer Folge bei darstellbarem Nutzen deren Einführung in die Gesundheitsversorgung”, mit Erfüllung bis 2026.
Österreich geht damit einen weiteren konkreten Schritt zur Einführung von DiGA.
3. Zulassung als Medizinprodukt vs. Erstattung durch Krankenkassen
Im Zusammenhang mit digitalen Gesundheitsanwendungen ist es wichtig, zwischen zwei Zulassungsprozessen zu unterscheiden:
- Der Zulassung von (digitalen) Medizinprodukten nach Medical Device Regulation:
Durch die Zulassung nach MDR sind Sie befugt, Ihr Medizinprodukt in Europa auf den Markt zu bringen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Sie auch Geld von den Krankenkassen für Ihr Produkt erhalten. Es geht hier erstmal nur um die Freigabe, dass Ihr Produkt sicher und leistungsfähig ist und somit grundsätzlich von Anwendern genutzt werden darf. - Die Zulassung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) für die Erstattung durch Krankenkassen:
Wenn Sie Ihr digitales Produkt über die Gelder von Krankenkassen finanzieren möchten, müssen Sie sich mit länderspezifischen Regelungen beschäftigen. In Deutschland ist dies z.B. der DiGA-Zulassungsprozess beim BfArM, der Ihnen ermöglicht, Ihr Produkt durch Krankenkassen erstatten. Hierfür muss Ihr Produkt übrigens bereits als Medizinprodukt nach MDR zugelassen sein.
Ein digitales Medizinprodukt in Österreich auf den Markt zu bringen, ist aktuell durch die MDR bereits fest geregelt und ohne Probleme möglich. Ein standardisierter Prozess, wie Sie speziell ein digitales Gesundheitsprodukt in Österreich durch Krankenkassen erstatten lassen können, wird hingegen erst noch erarbeitet.
Eine stark vereinfachte Abbildung der regulatorischen Abgrenzungen von DiGA in Österreich.
4. Der Weg zur Erstattung für DiGA in Österreich
Zum jetzigen Zeitpunkt ist die genaue Ausgestaltung des Zulassungsprozesses noch weitestgehend unklar. Sowohl von Herstellerseite als auch von offizieller Seite wie der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) wird oft der deutsche DiGA-Fast-Track als Referenz angegeben. Es werden jedoch keine einzelnen Aspekte des deutschen Verfahrens hervorgehoben. Auch die Möglichkeit einer vorläufigen Zulassung ohne abgeschlossenen Wirksamkeitsnachweis wurde noch nicht abschließend geklärt.
Es gibt jedoch einige Anhaltspunkte, die mehr Aufschluss über die geplanten Anforderungen eines österreichischen DiGA-Zulassungsprozesses geben.
4.1 Anforderungen an digitale Gesundheitsanwendungen in Österreich
Konkrete Empfehlungen für Anforderungen an DiGA im österreichischen Gesundheitssystem hat das AIHTA (Austrian Institute for Health Technology Assessment) 2020 in einer ersten Studie veröffentlicht. Das AIHTA ist ein unabhängiges Institut zur wissenschaftlichen Entscheidungsunterstützung im Gesundheitswesen. Gesellschafter sind insbesondere die Länder Österreichs sowie der Dachverband der Sozialversicherungen.
Folgende Kriterien empfahl das AIHTA zur Qualitätsüberprüfung von DiGA:
- In einem ersten Schritt sollen DiGA auf Vorliegen einer CE-Kennzeichnung, sowie einer Einordnung nach Risikoklassen laut MDR überprüft werden.
- Die gemeldete Risikoklasse nach MDR soll anschließend dazu verwendet werden, die notwendigen Evidenznachweise, wie zum Beispiel die Durchführung von Studien, festzulegen. Zuständig dafür ist die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit).
- Eine Zulassung als erstattungsfähige DiGA soll unter Einbeziehung des Dachverbands der Sozialversicherungen ausgestellt werden. Die Kriterien sind dabei klinische Wirksamkeit und Sicherheit, zu erwartende Kosten im Gesundheitssystem, Datensicherheit und -schutz sowie Usability und Interoperabilität.
- Der Prozess soll laut Empfehlung des AIHTA pilotiert und dabei angepasst werden.
Viele der Kriterien des AIHTA wurden auch auf der LISAvienna Regulatory Konferenz im Herbst 2023 diskutiert:
- Therapietreue als Qualitätskriterium
- Nutzung von (anonymisierten) Gesundheitsdaten für ärztliches Fachpersonal, Hersteller oder zu Forschungszwecken
- Keine Brüche im digitalen Versorgungsweg: Anbindung an andere digitale Lösungen im Gesundheitswesen wie die österreichische Patientenakte ELGA
- Notwendigkeit der Bekanntmachung von digitalen Gesundheitsanwendungen, um Interesse an DiGA seitens Patienten sowie von ärztlicher Seite zu etablieren
Welche Kriterien schlussendlich im finalen Zulassungsprozess auch so übernommen werden, ist bisher noch nicht absehbar.
4.2 Zeitplan für DiGA in Österreich
Für die reguläre Erstattung von DiGA ist es von entscheidender Bedeutung, welche Anforderungen der Dachverband der Sozialversicherungsträger und die Österreichische Gesundheitskasse für DiGA festlegen. Erst danach ist absehbar, welche Art von digitalen Gesundheitsanwendungen überhaupt erstattungsfähig sind. Hier werden die erarbeiteten Rahmenbedingungen im Rahmen der Pilotierung 2024 Aufschluss geben, die wir im nächsten Unterkapitel vorstellen.
In Juni 2024 veröffentlichte das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die “eHealth-Strategie Österreich“. Darin ist die konkrete Maßnahme zur Gestaltung eines Zulassungsprozesses für digitale Gesundheitsanwendungen festgelegt:
“M1.7: Schaffung eines einheitlichen Prozesses für die Bewertung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sowie digitaler Pflegeanwendungen (DiPAs) und in weiterer Folge bei darstellbarem Nutzen deren Einführung in die Gesundheitsversorgung. Priorisierung/zeitliche Planung: Kurzfristig (2024-2026)”
4.3 Das Pilotierungsverfahren zur Schaffung eines österreichischen DiGA-Prozesses
Die Festlegung des Zulassungs- und Erstattungsverfahrens für DiGA wird in Österreich im Rahmen eines Pilotprojekts vom Verband der Sozialversicherungen erarbeitet. Die Praktikabilität des erarbeiteten Verfahrens soll dabei anhand der Bewertung konkreter digitaler Gesundheitsanwendungen erfolgen.
Das Projekt wurden in einer schriftlichen Antwort an den SVDGV wie folgt skizziert:
Initiator des Projekts | Dachverband der Sozialversicherungen |
Ziel des Pilotverfahrens | Praxistest erarbeiteter Bewertungskriterien durch den Dachverband der Sozialversicherungen |
Laufzeit | August 2024 bis Ende Februar 2025danach Start der Umsetzungsphase |
Kriterien an DiGA zur Aufnahme ins Verfahren |
|
Definition des Projekterfolgs | Teilnehmende DiGA sollen das zuvor erarbeitete HTA-Framework durchlaufen haben. Es soll dadurch eine Bewertung möglich gewesen sein.Das erarbeitete Verfahren wird anschließend vorgestellt. |
Einbezogene Stakeholder | e-Health Beauftragter der “Bundeskurie niedergelassene Ärzte”Keine Einbindung von Patienten oder Ärzten |
Vorteile für DiGA-Hersteller durch die Teilnahme | Einblick in den geplanten HTA-Prozess |
5. Bisherige Erstattungsmöglichkeiten in Österreich
Bereits jetzt können digitale Gesundheitsanwendungen in Österreich ausnahmsweise erstattet werden. Diese Anwendungen fallen unter die Kategorie “Sonstige notwendige Heilbehelfe” gemäß § 137 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG). Patienten können somit unter Einhaltung bestimmter Bedingungen einen Anspruch auf Kostenerstattung geltend machen.
Laut § 133 Abs. 2 ASVG ist es entscheidend, dass die DiGA den beabsichtigten Zweck erfüllen, ohne das notwendige Maß zu überschreiten. Die Überprüfung dieser Bedingung erfolgt individuell für jeden Antrag, wodurch die Erstattung nur in Einzelfällen gewährt wird.
Die Nutzung von Gesundheitsapps wird in Österreich bereits seit einiger Zeit gefördert. Eine Umfrage des österreichischen Dachverbands der Sozialversicherungen aus dem Jahr 2018 ergab, dass 9 von 16 Organisationen innerhalb der österreichischen Sozialversicherung insgesamt 22 Gesundheitsapps kostenfrei an ihre Versicherten abgaben. Auffällig dabei war, dass für die Mehrheit dieser Angebote kein Nachweis eines Versicherungsverhältnisses erforderlich war, was die Zugänglichkeit erhöht. Im Jahr 2018 boten damit etwas mehr als die Hälfte der Krankenversicherungen in Österreich solche digitalen Gesundheitsanwendungen an.
Ein wesentliches Thema in diesem Zusammenhang ist die Qualitätsprüfung der angebotenen Apps. Bislang war die Klassifizierung als Medizinprodukt kein notwendiges Kriterium für die Bereitstellung der Apps. Es existiert hierzu keine einheitliche Qualitätskontrolle. Nichtsdestotrotz wurde versucht, bestimmte grundlegende Qualitätskriterien zu berücksichtigen, wie aus entsprechenden Grafiken und Auswertungen hervorgeht.
Interessanterweise konzentrierte sich der Großteil der verfügbaren Anwendungen auf die Prävention. Nur 5 der 22 untersuchten Apps waren in ein Behandlungs- oder Telemonitoring-Konzept integriert und somit speziell für erkrankte Personen konzipiert.
6. DiGA-Modelle in anderen Ländern
Immer mehr Länder planen einen standardisierten Prozess, um digitale Gesundheitsanwendungen in die Regelversorgung zu bringen. Neben Österreich sollten Sie außerdem einen Blick in die folgenden Länder werfen:
- Belgien (Link zum Leitfaden für die Zulassung von DiGA in Belgien)
- Frankreich (Link zum Leitfaden für die Zulassung von DiGA in Frankreich)
- Deutschland (Insider-Tipps für die Zulassung von DiGA in Deutschland)
- Italien (Link zum Whitepaper: Kommen DiGA bald nach Italien?)
Neben standardisierten DiGA-Zulassungsprozessen gibt es außerdem die Möglichkeit, digitale Lösungen über Selektivverträge erstatten zu lassen. Mehr hierzu in unserem Whitepaper zu Selektivverträgen.
7. Fazit
2024 scheint Bewegung in die österreichische Diskussion um die Einführung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gekommen zu sein.
Die Ergebnisse des Pilotierungsverfahrens werden gespannt erwartet. Der nächste wichtige Schritt ist die Festlegung der Anforderungen, die eine DiGA in Österreich erfüllen muss. Wichtig sind anschließend die konkreten Voraussetzungen für die Erstattung durch die Krankenkassen.
Erst dann bieten sich für Hersteller gesicherte Rahmenbedingungen, um DiGA in Österreich zu vertreiben.
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